Hauke Benner – Mit uns gibt es kein Rollback

Letzte Woche trafen sich Klimaaktivisten aus aller Welt in Hamburg, um gegen die deutsche Klimaheuchelei und das kapitalistische System, das für den Klimazusammenbruch verantwortlich ist, zu protestieren

Hauke Benner ist ein ehemaliger Journalist und jahrzehntelang ein politischer Aktivist gegen den Klimawandel.

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Ab Samstag, 13. August, Mittag war der Hamburger Hafen dicht. Der komplette Güterzugverkehr war durch Gleisblockaden für Stunden lahmgelegt. Auch Lkws konnten nicht fahren, weil die wichtige Köhlbrandbrücke zum Containerhafen ebenfalls blockiert wurde. Im Zuge ihres Kampfes gegen den „fossilen Kapitalismus“ hat die Klimagerechtigkeitsbewegung mit dem Hamburger Hafen als wichtige Drehscheibe des globalen und neokolonialen Handels ihren Aktionsrahmen thematisch deutlich erweitert.

Zentraler Angriffspunkt der Klimaschützerinnen ist dabei das Vorhaben der Ampel-Koalition, in den kommenden Jahren zwölf Flüssiggas-Terminals zu bauen. Aber auch das Hochfahren schon stillgelegter Kohlekraftwerke und die Laufzeitverlängerung für die letzten drei deutschen Atomkraftwerke stößt in der Klimabewegung auf großen Widerspruch. Der Ukrainekrieg und der drohende Gaslieferungsstopp aus Russland wird gerade auch vom grünen Wirtschaftsminister Habeck zu Anlass genommen den totalen energiepolitischen Rollback vorzunehmen, „um die kommende Krise im Winter zu stemmen“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte vor ein paar Tagen angekündigt, dass die ersten beiden Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel zu Beginn des kommenden Jahres den Betrieb aufnehmen würden. Vom überfälligen energiepolitischen und industriellen Umbau ist gerade bei den Grünen keine Rede mehr.

Für Charly Dietz, Pressesprecherin von “Ende Gelände”, ist die neue Erdgasinfrastruktur “ein Geschenk an die fossile Industrie”. Die großen Energiekonzerne seien Krisenprofiteure, sie hätten ihre Gewinne vervielfacht, während viele Menschen nicht wüssten, wie sie im kommenden Winter ihre Strom- und Gasrechnung bezahlen sollen.

Mit entsprechender Wut im Bauch reisten 2000 Klimaaktivistinnen in der Letzten Woche zum System Change Camp nach Hamburg. Darunter sehr viele aus dem europäischen Ausland.

„Das System ist die Krise! Die Gesellschaft taumelt von Krise zu Krise. (…) Im Fall der Klimakrise stehen sich zwei Systeme gegenüber, die entscheiden wie unsere Zukunft aussehen wird: Das herrschende, auf Profitmaximierung und stetigem Wachstum basierende Wirtschaftssystem. Und das System Erde, auf dessen endliche Ressourcen und intakte Ökosysteme die Menschheit angewiesen ist. Beide Systeme sind nicht miteinander vereinbar“, heisst in dem Aufruf für das „System Change“-Camp in Hamburg, was vom 9. bis 14.8. stattfand. Über 30 Gruppen folgten dem Aufruf, der im wesentlichen von „Ende Gelände“ und der Gruppe „Ums Ganze“ verfasst wurde.

Ausgesprochen international war das Programm gestaltet. In vielen Veranstaltungen ging es um die neokoloniale Ausbeutung der fossilen Ressourcen. So berichteten Menschen aus Argentinien über die verheerenden Folgen für die lokale Bevölkerung durch die Fracking-Gas Exploration der deutschen „Wintershall AG“.

Im Hamburger Hafen werden täglich mehrere zehntausend Tonnen Kohle, vornehmlich aus Kolumbien von den Schiffen gelöscht. Diese Kohle sei nichts anderes als „Blutkohle“, denn in den Tageabbaugebieten werde die indigene Bevölkerung vertrieben, die Flüsse verseucht und ganze Regionen unbewohnbar, so schilderte eine Aktivistin aus Kolumbien eindrucksvoll die Folgen des fossilen Kapitalismus in den Ländern des Südens.

Der Hafen ist zudem das Logistikzentrum für den Umschlag von Uran aus Namibia, Kasachstan oder Kanada, was dann weiter transportiert wird zur Brennstoffzellenfabrik in Gronau und wieder zurück als Uranbrennstäbe über den Hafen ins Ausland verschifft wird. Die Stadt Hamburg will zudem auch LNG-Gasterminals bauen lassen. Nicht zu vergessen sind die drei Ölraffinerien im Hafengebiet. Jeden Tag rollen dutzende Güterzüge mit Ölprodukten durch das Hafengebiet.

Auf dem Campgelände fanden aber nicht nur zahlreiche Veranstaltungen statt. In den Aktionsplena wurde drei Finger zusammengestellt, die auf getrennten Wegen zu den Zielorten im Hafengebiet am Samstag laufen sollten. So trainierten hunderte zumeist jüngere Aktivistinnen das Durchbrechen von Polizeisperren oder das Ablenken und Täuschen der massiv im Hafengebiet präsenten Polizeieinheiten, die jede Brücke seit Tagen bewachten.

Einen Tag vor dem großen Aktionstag hatte der grüne Finger mit drei Bussen die 250 km entfernte LNG-Baustelle in Wilhelmshaven für Stunden blockiert. Schon vorher fuhren Dutzende nach Brunsbüttel an der Elbmündung, um dort die Eingangstore zur Düngemittelfabrik von Yara dicht zu machen. Der norwegische Konzern Yara ist einer der größten industriellen Gasverbraucher in Deutschland, der vornehmlich für den Export bestimmte Düngemittel in Zukunft mit US-amerikanischen LNG-Gas dort produziert. Düngemittel für die Monokulturen der industriellen Landwirtschaft, hergestellt mit Fracking-Gas. Klimapolitisch absurder geht’s nicht mehr.

Am Samstag zogen dann die drei Demonstrationszüge, aufgeteilt in den goldenen, pinken und lila Finger erst zusammen zum Bahnhof Altona, wo eine Zwischenkundgebung angemeldet war. „Wir werden uns heute den großen Klimakiller-Konzernen in den Weg stellen. Wir blockieren heute den fossilen Kapitalismus. Der Hamburger Hafen steht für Plünderung von Ressourcen im Globalen Süden und die ungerechte Verteilung von Reichtum. Die großen Klimakiller-Konzerne machen Milliardengewinne mit der kolonialen Aneignung fossiler Rohstoffe. Mit unserem Protest skandalisieren wir dieses Klimaverbrechen und werden den Ausbau weiterer fossiler Infrastruktur verhindern, so Charly Dietz von „Ende Gelände“.

Entgegen der angemeldeten Demoroute zur Elbphilharmonie stiegen die drei Finger in die S-Bahn und fuhren Richtung Süden in den Hafen. Dort waren drei Mahnwachen an strategisch wichtigen Punkten für die Verkehrslogistik angemeldet. Obwohl die Polizei mit einem Großaufgebot die drei Demozüge eng begleitete, gelang es den in weißen Kitteln und farbenfrohen Sonnenschirmen laufenden 1500 Aktivistinnen an drei Stellen auf die Güterbahngleise zu kommen und diese zu besetzen. Ab den Mittagsstunden ging nichts mehr für die im Stau stehenden Güterzüge. Inzwischen hatte auch eine Gruppe von „Extincton Rebellion“ und „Letzte Generation“ auf der Straße der für den Lkw-Verkehr wichtigen Köhlbrandbrücke sich festgeklebt.

An zwei Blockadepunkten, so an der Brücke zum derzeit stillgelegten Kohlekraftwerk Moorburg, ging die Polizei mit aller Härte vor, um die Schienenbesetzung zu beenden. Doch trotz Pfefferspray, Wasserwerfereinsatz und Schlagstöcken blieben ca. hundertfünfzig Aktivistinnen auf den Schienen und konnten erst nach Stunden geräumt werden. Mehrere hundert wurden von der Polizei eingekesselt, den Sanitäterinnen wurde der Zutritt verweigert, Trinkwasser durfte auf Anweisung der Polizei nicht weitergeleitet werden. Bei Temperaturen von mehr als 35 Grad auf der Straße war das schon gemeingefährlich.

Die letzten Finger kamen erst in den späten Abendstunden unter großen Jubel wieder zurück auf das Camp. Alle waren erschöpft von der Hitze und dem brutalen Vorgehen der Polizei. Aber trotzdem eher euphorisch. Denn zumindest die regionale Presse hatte die Aktionen aufmerksam verfolgt. Es geht nicht mehr ohne System Change – das ist auch in der bürgerlichen Presse angekommen.

Das Bündnis um „Ende Gelände“ war mit diesem Experiment, zum ersten mal in einer Großstadt an weit auseinander liegenden Punkten Blockadeaktionen durchzuführen, zufrieden: „Wir haben in dieser Woche gezeigt: die Klimagerechtigkeitsbewegung hat volle Power. Wer im Jahr 2022 noch in fossile Infrastruktur investiert, muss mit unserem Widerstand rechnen. Wir stehen eng zusammen gegen den fossilen Kapitalismus und koloniale Ausbeutung. Mit uns gibt es kein fossiles Rollback.“

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