Hauke Benner – Deutsche Gaskraftwerke springen für die maroden französischen Atomkraftwerke ein.

Die deutschen Grünen, mit ihrem Wirtschaftsminister Bobby Habeck an der Spitze, haben ihre Wahlversprechen für eine saubere Energiewende und mehr über Bord geworfen.

Hauke Benner ist ein ehemaliger Journalist und jahrzehntelang ein politischer Aktivist gegen den Klimawandel.

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In Frankreich sind derzeit 50% der Atomkraftwerke stillgelegt, teils aus Wartungsgründen, teils weil die Flüsse wie die Loire oder die Rhone zu wenig Kühlwasser bereitstellen können, teils weil wegen Rissbildung und Korrosion die veralteten Atommeiler für Monaten von Netz genommen worden sind. Frankreich ist deshalb innerhalb des europäischen Stromverbundes auf erhöhte Importe angewiesen. Deutschland hat deshalb alle verfügbaren Kraftwerke hochgefahren. Dazu zählen auch die Gaskraftwerke.

Obwohl Wirtschaftsminister Habeck im Frühjahr ankündigte die Verstromung von Gas weiter zu drosseln passierte das Gegenteil. Noch nie haben die deutschen Energiekonzerne soviel Gas wie in den Monaten Mai und Juni zur Verstromung eingesetzt. Allein im Mai wurde das knappe und sehr teure Erdgas für mehr als 4000 Gigawattstunden (GWh) Strom in den Kraftwerken verfeuert. Diese Gasmengen hätten an sich die halbvollen Gasspeicher für den Winter füllen sollen.

Warum haben sich die Energiekonzerne wie RWE oder Uniper nicht an die Mahnungen von Habeck daran gehalten?

Das erklärt sich aus drei Gründen:

1. Der stark gestiegene Stromexport, u.a. wegen der stillgelegten franz. Akw’s.

2. Weil viele Kohlekraftwerke in Deutschland stillgelegt worden sind (als erste Klimaschutzmassnahme) und zu wenig Kohle aus dem Ausland beschafft werden konnte (Russland als Hauptlieferant fällt aus) konnte die Kohleverstromung nicht kurzfristig erhöht werden.

3. Die Preise an der Stromleitbörse in Leipzig werden nach dem sogenannten Merit-Order-Verfahren gebildet, das bedeutet, das der Preis sich nach dem letzten benötigten Kraftwerk richtet, um die Stromnachfrage zu befriedigen, und das sind i. d. R. die teuren Gaskraftwerke. Der Gaspreis an der wichtigsten europäischen Terminbörse für Gas in Amsterdam hat sich binnen eines Jahres von 20-40 € auf derzeit 190 € vervielfacht – und ein Ende ist nicht abzusehen.

Der Clou für die Kraftwerksbetreiber liegt nun aber darin, dass alle billigeren, also insbesondere die Erneuerbaren wie Wind oder Photovoltaik aber auch die Kohlekraftwerke, diesen teuren Gas-Strompreis bekommen.

Das beschert den Stromkonzernen wie RWE derzeit Milliarden-Gewinne. Für eine Strompreiserhöhung von 10 cent pro Kwh würde allein RWE 30 Milliarden zusätzlich erhalten, wenn alle Abnehmer das sofort bezahlen müssten.

Diese Milliardengewinne nennt mensch in der Fachsprache Windfall-profits, Habeck nennt das populistisch „Kriegsgewinne“, die er vor ein paar Monaten noch besteuern wollte. Bis heute hat sich da nichts getan.

Mal wieder eine Ankündigung aus dem Wirtschaftsministerium, die nicht umgesetzt wurde. Überhaupt sind die Grünen derzeit dabei, alle, aber wirklich auch alle Klimaschutzvorhaben, die sie ihren Wählerinnen versprochen haben, aufzugeben. So laufen Braunkohlekraftwerke weiter auf Volllast, LNG-Gas wird massiv importiert, selbst Atomkraftwerke sollen weiter Strom liefern, wie es jetzt aus dem Wirtschaftsministerium heißt, „um Frankreich zu helfen“.

Bei den Superprofiten der Energiewirtschaft wird in Grossbritannien oder Italien nicht tatenlos zugesehen. Besonders der gerade zurückgetretene Ministerpräsident Draghi, einer der von Finanzwirtschaft was versteht, hat ein intelligentes Modell entwickelt, um dieses Windfallprofits jedenfalls teilweise abzukassieren. In Italien werden die wegen der Preissteigerungen stark angestiegene Umsätze der Konzerne höher besteuert und somit eine kompliziert durchzusetzende Übergewinnsteuer oder eine Preisdeckelung wie in Spanien umgangen.

In der Konsequenz tanzen die Stromkonzerne Minister Habeck auf der Nase rum. Statt die Gasspeicher zu füllen, scheffeln sie lieber Profite. Das geht selbst anderen Kapitalfraktionen zu weit. Der Wirtschaftsverband der Stahl- und Metallindustrie verlangte vor ein paar Tagen eine Deckelung der Strom- und Gaspreise: „Die EU-Kommission hat sich dafür ausgesprochen, den Preis für mit Erdgas produzierten Strom zu begrenzen. Worauf wartet die Bundesregierung noch? Unsere mittelständischen Mitglieder können nicht nachvollziehen, dass sie KfW-Kredite aufnehmen sollen, um die Windfall-Profite der Stromindustrie zu finanzieren“, heißt es in einem Positionspapier des Verbands.

Die Bundesregierung subventioniert stattdessen den vor der Pleite stehenden größten Gaskonzern Uniper mit über 10 Milliarden €. Auch der energieintensiven Industrie soll mit 5 Milliarden staatlichen KfW-Krediten geholfen werden. Finanzminister Lindner weigert sich hingegen die ärmeren Haushalte und Geringverdienerinnen mit einem Energiegeld dauerhaft zu unterstützen. Stattdessen will er die Einkommenssteuer im nächsten Jahr senken.

Also typisch FDP: Alles für die Konzerne und Reichen; nichts für die eigentlichen Opfer der Energiepreisspekulation, die geschätzte 3000 € pro Haushalt im nächsten Jahr mehr für Gas und Strom zahlen müssen.

Wirtschaftspolitisch ist das barer Unsinn, die Menschen konsumieren und verreisen weniger und es ist eine weitere Umverteilung zugunsten der Reichen und Großkonzerne.

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