Hauke Benner – Die Grünen: Die Partei der Anpassung

Viele glauben, dass die deutschen Grünen eine linke, ökologische Partei sind. Das ist sie aber lange nicht mehr. Sie ist eine neoliberale Partei, die gerne die zerfledderten Überreste ihrer früheren Umweltpolitik zur Schau stellt.

Hauke Benner ist ein ehemaliger Journalist und derzeit ein politischer Aktivist gegen den Klimawandel.

Read the English translation here

Image

Am 28. Oktober besetzten Aktivistinnen von „Friday for Future“, „Ende Gelände“ und „Sand im Getriebe“ die Parteizentrale der Grünen in Berlin aus Protest gegen den Ausbau der A 49 im Bundesland Hessen. Seit Wochen haben über hundert Klimaschützerinnen den Dannenröder Wald besetzt, der dem Autobahnbau weichen muss. Der grüne Wirtschaftsminister Al-Wazir hatte entgegen ursprünglichen Wahlversprechungen der Rodung zugestimmt. Die Koalition aus CDU und Grünen in Hessen besteht seit 2014 und verläuft, wie die konservative Tageszeitung FAZ lobend hervorhebt, „konfliktfrei“.

Die hessischen Grünen sind darin seit Jahrzehnten geübt, ihre Wahlversprechen aus den Zeiten der parlamentarischen Opposition auf den Regierungsbänken beiseite zulegen und das Gegenteil zu exekutieren. Der erste prominente Vertreter dafür war Joschka Fischer, der als erster Umweltminister in den 80 er Jahren immer wieder faule Kompromisse vollzog, die den Weiterbetrieb mit erhöhten Sicherheitsauflagen statt der von der Parteibasis verlangten Stilllegung des AKW Biblis als „Erfolge“ grüner „Realpolitik“ verkaufte.

Als Ursünde der Realpolitik aus den Annalen der Grünen bleibt der Kriegseintritt im Konsovokonflikt. 1999 vollzog der damalige Außenminister Fischer in der ersten rot-grünen Regierungskoalition auf Bundesebene einen radikalen Kurswechsel: von der „Friedenspartei“ der 80 er Jahre hin zur modernen Partei der „Verteidigung der Menschenrechte“ mit Waffeneinsatz. Später stand er an der Spitze der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan. Verbitterungen an der Basis und massenhafte Parteiaustritte waren die Folge.

Diese Politik der ins Gegenteil verkehrten Wahlversprechen ist in den vergangenen Jahren zum Merkmal grüner Umweltpolitik auf den Regierungsbänken geworden. Nur zwei Beispiele: Vor dem Eintritt in eine Regierungskoalition 2008 in Hamburg waren die Grünen vehement gegen die Inbetriebnahme der riesigen CO2-Schleuder, des Kohlekraftwerks Moorburg von Vattenfall und gewannen deshalb viele Stimmen. Ihr Koalitionspartner CDU verlangte aber den grünen Kotau. Von „Wortbruch“ und „Verrat“ war dann auf dem Parteitag die Rede, aber die Parteispitze setzte sich durch und durfte ihre Ministerämter antreten. Moorburg ging in Betrieb. Der Konflikt um den Bau des neuen Bahnhofs „Stuttgart 21“ hat in dem ansonsten betulichen Bundesland Baden-Württemberg die Bügerinnen auf die Strasse getrieben. Die Grünen unterstützen vehement den außerparlamentarischen Protest und gewannen mit dem Versprechen, das Milliardenprojekt zu stoppen, die Landtagswahlen 2011. Doch kaum auf den Regierungsbänken Platz genommen einigten sie sich mit der SPD auf die Fortsetzung des Mammutprojekts. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann wurde sogar fünf Jahre später wieder gewählt.

Wie ist das zu erklären?

Mehrere Faktoren spielen eine Rolle:

1. Die heutige grüne Wählerbasis ist im Gegensatz zu den Zeiten der Gründung der Grünen Anfang der 80 er Jahre mehr der bürgerlichen Mitte zuzuordnen und hat ihre radikalen Flauseln, wie sie sich im Programm und der Politik der Grünen Anfang der 80 er Jahren niederschlugen, abgelegt. Von „Austritt aus der NATO“ ist keine Rede mehr, vom „Ausstieg aus der Industriegesellschaft“ und dem „Ende der Wachstumspoltik“ auch nicht. Stattdessen wird die Bundeswehr nach Afrika geschickt zu „friedensschaffenden“ Einsätzen und in Sachen Klimakrise ist das Allheilmittel „grünes Wachstum“.

2. Aus ihrer ursprünglichen Kritik am Parlamentarismus entstand die Forderung der Trennung von „Amt und Mandat“ und das „Rotationsprinzip“, also vom politischen Mandat auf Zeit zurück zur Basis in den gesellschaftlichen Alltag. Doch je mehr Mandate die Grünen zunächst auf kommunaler und später auf Landtagsebene errangen, desto mehr wurde dieser Grundsatz aufgegeben. Wie bei den anderen Parteien wurde Politik zum Beruf, Politik als Beruf verstanden. Zu attraktiv waren die Posten und Gehälter sowohl in der staatlichen Verwaltung wie im parlamentarischen Raum – und nicht zuletzt, die Teilhabe an der Macht und ihr medienwirksamer Resonanzboden vor laufenden Kameras politische Statements verkünden zu dürfen – dem können sich nur Wenige auch bei den Grünen entziehen. Und wenn das Mandat oder das Ministeramt ausgelaufen war, wechselten in den letzten Jahren viele prominente Grüne die Seiten und wurde Lobbyisten der Gasindustrie wie Joschka Fischer oder der grüne Staatssekretär Berninger, zuständig für Verbraucherschutz, wechselte zum Schokomulti Mars.

3. Die Integration der Grünen in das bundesdeutsche Politiksystem verlief vor allem über den zunächst von den anderen Parteien misstraurisch beäugten Eintritt und Aufstieg grüner Politikerinnen in den verschiedensten kommunalen und staatlichen Verwaltungen. Hier lernten die Grünen sehr schnell die Denke und die Handlungsabläufe moderner bürokratischer Verwaltungsakte mit all ihren Kompromissen und der in Gesetzen und Verordnungen versteckten strukturellen Gewalt.

Das Formulieren von Alternativen zur Vorherrschaft des Privateigentums und des kapitalistischen Wachstumszwangs kommt in den Niederungen des politischen Alltagsgeschäfts nicht vor. Und wenn der Druck von außen, sei es aus den Reihen der Wissenschaft wie im Zuge der Klimakrise, sei es aus den Reihen der Klimabewegung wie von „Friday for Future“ zu groß zu werden scheint, flüchtet sich die Parteispitze um Harbeck und Baerbock in eine „Politik der Indifferenz“, wie sie die den Grünen nahestehende ‘taz’ vor einem Jahr treffend kennzeichnete: „Sie behaupten zwar, für radikale Klarheit zu sein, bleiben aber unbestimmt genug, um niemanden zu verschrecken. Klug ausgespielte Indifferenz ist ein Wesensmerkmal der Grünen geworden“.

Diese Politik der Indifferenz ist das neue Kleid, in das die alte Realpolitik geschlüpft ist. Mit den Grünen verbindet sich immer noch das Label „Ökopartei“. Jedoch werden orginär ökologische Anliegen und Forderungen in der Regierungsverantwortung schnell unter den Tisch fallen gelassen bzw. dem Pragmatismus der Koalitionsvereinbarungen mit der SPD oder der CDU geopfert. Das jüngste Beispiel dafür ist die Zustimmung der Grünen im Bundesrat zu dem Kohleausstiegsgesetz, was von allen NGO’s heftig kritisiert wird, weil Kohlekraftwerke bis 2038 weiterlaufen dürfen und zusätzlich die Kohlekonzerne noch Milliardengeschenke dafür erhalten. Da zudem ein neues Kohlekraftwerk Datteln 4 in Nordrhein-Westfalen ans Netz gehen durfte, brachte das Fass zum Überlaufen und einige Umweltverbände traten aus der Kommission, die den Gesetzentwurf erarbeitet hatte, zurück. Die Grünen in den Länder-Koalitionen mit der SPD und CDU wollten jedoch dafür den Koalitionsfrieden nicht gefährden.

In den Bundesländern Berlin und Brandenburg laufen gerade zwei ökologisch und klimapolitisch verheerenden Projekte mit ausdrücklicher Billigung grüner Minister vom Stapel. Am 1. November wurde der neue Flughafen in Berlin mit einem Jahrzehnt Verzögerung in den Betrieb genommen. Die Baukosten verdreifachten sich und nicht zuletzt durch die Coronakrise ist der Flughafen völlig überdimensioniert. Er ist der neue Dinosaurier des Luftverkehrs und irgendwie aus der Zeit gefallen. Die grünen Verkehrsminister und Wirtschaftsminister Günther und Popp verlieren kein Wort über die verheerende Klimabilanz des Luftverkehrs sondern blasen wie die anderen Parteien in dasselbe Horn von „Wachstum und Arbeitsplätzen“.

Östlich von Berlin baut der us-amerikanische Tesla-Konzern seine erste große Autofabrik in Europa. Ohne rechtsgültige Baugenehmigung und ohne eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung durch die grüne Umweltministerin in Brandenburg werden hunderte von Hektar Wald gerodet und die Einwendungen der Bürgerinnen vom Tisch gewischt. Das Versprechen von 12.000 Arbeitsplätzen hypnotisiert auch grüne Politikerinnen und lässt alle ökologischen und klimapolitischen Einwände gegen die Elektroautomobilität in Vergessenheit geraten.

Zusammenfassend: Die Grünen sind von der in der Klimabewegung weit verbreitenden Forderung nach einem „Systemchange“ meilenweit entfernt. Dank der Politik der Indifferenz, ja keine potentiellen Wählerinnen durch allzu radikale Forderungen oder frühzeitige Festlegungen zu verschrecken, sind die Grünen auf dem Weg zu einer neuen Volkspartei. Ein gesellschaftlicher bzw. klimapolitischer Wandel ist mit Regierungsantritt nach den nächsten Bundestagswahlen von den Grünen nicht zu erwarten. Umso dringlicher bleibt der außerparlamentarische Druck der Klimagerechtigkeitsbewegung.

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*